Kann der Mensch auf der Suche nach der Wahrheit erfolgreich sein?
Vermeintlich ja, solange er denkt, er könne in seiner individuellen Wirklichkeit das Wahre entdecken. Er verfällt dann dem Schein, der Illusion oder gar der Fiktion einer persönlichen Wahrheit. Gelingt es ihm hingegen, seine subjektive Wirklichkeit im Verhältnis zur Wirklichkeit anderer Menschen gleichberechtigt zu sehen, kann es ihm gewährt sein, die äusseren wie die inneren Erscheinungen überschauend zu beobachten. In der reinen Wahrnehmung werden alsdann alle Wirklichkeiten zu wahren Wirklichkeiten.
Wie verhält es sich nun mit der Wahrheit? – Würde die Wahrheit für sich selbst Wahrheit beanspruchen, wäre sie bloss eine der unzähligen Wirklichkeiten. Ihr Wesen liegt gerade darin begründet, dass sie nichts Eigenes darstellt, ein Nichts ist. Als solches kann sie ausnahmslos und uneingeschränkt alle Wirklichkeiten, so wie sie sich zeigen, an-sich-annehmen, auf-sich-nehmen und in-sich-hinnehmen. In ihr und durch sie bildet sich alles in allem. Insofern bezeugt die Wahrheit dem einzelnen Menschen jede Wirklichkeit als integrierter Anteil eines gemeinsamen Ganzen.
Der geistig erwachte Mensch ist befähigt, seine einzigartige Individualität anzuschauen, seine persönliche Identität zu betrachten und sein ergreifendes Schicksal zu begutachten. Dabei kann er bemerken, wie er in der Individualisierung an das Bewusstsein, in der Identifizierung an die Erkenntnis und hinsichtlich des Schicksals an das Gewahrsein gebunden ist. Er kann sehen, wie er in der Beziehung zu allen Erscheinungen, also auch zu seinem eigenen Wesen, zu unterscheidende Subjekt-Objekt-Verhältnisse kommen kann: Bei der geistigen Trance ins Geschieden-sein, beim geistigen Schlaf ins Getrennt-sein, beim geistigen Traum ins Abgesondert-sein und beim geistigen Wachsein ins Gegenüber-stehen.
Im Zustand des geistigen Wachseins ist er – sinnbildlich gesprochen – in der Verfassung, den Geist in seinem Inneren zu hören. Es handelt sich hierbei um einen Vorgang, in welchem sich dieses Hören auf drei Ebenen verfeinern und zugleich vertiefen kann zu einem Anhören, Zuhören und Hinhören. Beim Anhören erweist sich zwischen dem Menschen als das Subjekt und dem Geist als das Objekt eine imaginative Verknüpfung, beim Zuhören eine inspirative Verbindung und beim Hinhören ein intuitives Einssein.